Auszug aus „Der Garten“


Sein Blick ruhte auf der Kleinen.

Ein paar Schritte entfernt kniete sie in ihrem Beet – zwei Meter mal zwei Meter groß. Sie trug ein geblümtes Baumwollkleidchen. Die goldenen Haare reflektierten die Sonne. Mit sicheren Handgriffen pflanzte sie junge Erdbeerranken in die warme Erde. Das Beet, das sie vor ein paar Wochen gemeinsam angelegt hatten, war eingeteilt nach dem gleichen Plan, der auch für seinen großen Garten bestand. Sogar eine Laube wollte sie haben; den Platz dafür hatten sie schon abgesteckt.

Es gefiel ihm, wie sie die Dinge anging, wie sie plante und fragte und selbst dachte und wieder fragte und wie sie zusammen arbeiteten.

Als er lächelte, weil er meinte, sie sähe ihn nicht, hätte seine Anwesenheit vergessen, schaute sie kurz auf. Ihre Augen strahlten und er atmete tief durch, während sie den Kopf wieder senkte, um weiter zu arbeiten. Gleich darauf streckte sie sich und erhob sich.

Er wusste, sie würde umsichtig aus dem Beet treten, damit keines ihrer Pflänzchen beschädigt wurde.

Dann lief sie zur Regentonne und füllte ihre kleine grüne Gießkanne. Die Gummistiefel waren viel zu groß für das schmächtige Persönchen. Sie verzögerten ihre fließenden Bewegungen. Sie bemerkte es nicht. Er beobachtete es nur.

Unter der Schirmkappe war es ihm warm geworden. Das brachte ihn in Bewegung.
„Komm mal her“, rief er, holte aus den ausgebeulten Taschen seiner Blauleinen einen Apfel hervor und das Sacktuch. Während sie folgsam zu ihm hüpfte, polierte er zuerst seine Brille, anschließend den Apfel, spuckte auf beide, als es noch nicht genug glänzte. Dann war er zufrieden.

„Ich hab ihn dir ausgesucht, schau wie glatt er noch ist. Dah!
Wer arbeitet muss auch essen.“
Seine große Hand mit der Frucht streckte er ihr entgegen.

Sie streifte sich den gröbsten Dreck in den Falten ihres Kleides ab. Ihre kleinen Finger umschlossen den Apfel; den sie erneut prüfte, eine winzige Spur Priemsaft, die seinen Augen entgangen war, am Bauch abwischte und zubiss.

Die beiden schauten sich in die Augen, lächelnd.
Sie, weil sie immer lächeln musste, wenn sie ihm nahe war.
Er, weil sie so eine Wohltat für ihn war, ihn alles vergessen ließ, wenn sie wie jetzt vor ihm stand, so zart, so zerbrechlich aber mit dicken schwarzen Spuren im Gesicht und Erde an den Fingern. Vorsichtshalber schaute er sich um; Frau und Tochter bestanden darauf, dass er und die Kleine sich wuschen, bevor sie aßen.

„Niemand in der Nähe.“
Ihre Blicke verschworen sich.

Während sie geräuschvoll die Zähne in den Apfel grub, verknotete er die vier Ecken des großen graublauen Sacktuchs. Fertig damit, steckte er Daumen und Zeigefinger hinein, zog die Knoten fest und setzte ihr das Tuch als Sonnenschutz auf die blonden Haare. Wieder dieses Lächeln. Sie stellte sich auf Zehenspitzen, er beugte sein Gesicht herunter und sie setzte mitten in die verbleichten Bartstoppeln ihre spitzen roten Lippen. Ein kleiner Schmatzlaut. Dann sprang sie davon, zurück in ihr Beet.

Er verspürte keine Lust weiter zu arbeiten, betrachtete sie nur, bewegungslos, ignorierte den plötzlich stärker werdenden Schmerz, der weiter in den linken Arm gezogen war.

Copyright Angelika Nasser-Lange